Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer,
wir gratulieren Ihnen zum guten Ergebnis bei der Landtagswahl und wünschen Ihnen für die Koalitionsverhandlungen und die anschließende Regierungszeit viel Erfolg!
Vor etwa einem Jahr haben sich über 60 Organisationen zusammengefunden, um im „Mainzer Appell zur Krisenbewältigung“ gemeinsam deutlich zu machen, dass eine sozial-ökologische Transformation erforderlich ist, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen und die Zivilgesellschaft, das Gemeinwohl und die Demokratie zu stärken. Unser Ziel ist ein nachhaltiges Rheinland-Pfalz, in dem Ressourcen in Kreislaufwirtschaft genutzt werden, die Klimaziele von Paris berücksichtigt werden, die biologische Vielfalt geschützt wird, es sichere Arbeitsplätze, faire Löhne und eine zukunftsfähige Wirtschaft gibt und welches seine globale Verantwortung durch faire Beschaffung und Entwicklungszusammenarbeit auf Augenhöhe übernimmt.
Um diese Ziele zu erreichen, muss das Thema Nachhaltigkeit unseres Erachtens einen hohen Stellenwert in der zukünftigen Landespolitik erhalten. Hierfür schlagen wir die Bildung eines Nachhaltigkeitsbeirats und die Einrichtung einer Stabsstelle für Nachhaltigkeit in der Staatskanzlei vor. Diese sollten ausreichend mit Personal und Finanzmitteln ausgestattet sein.
Um einen umfassenden Blick und eine breite gesellschaftliche Einbindung zu erreichen, sollten die relevanten gesellschaftlichen Gruppen im Nachhaltigkeitsbeirat des Landes vertreten sein, also beispielsweise Vertreter*innen aus den Bereichen Gewerkschaften, Kirchen, Umwelt- und Naturschutz, Mobilität, Landwirtschaft, Industrie, Handel, Handwerk, Wissenschaft, schulische und außerschulische Bildung, Entwicklungszusammenarbeit, Jugendverbände und Sozialverbände.
Eine Ansiedlung des Nachhaltigkeitsbeirats und der Stabsstelle in der Staatskanzlei erscheint uns sinnvoll, da Nachhaltigkeit alle Ministerien und Ressorts betrifft und über eine zentrale Stelle ein kohärenteres Handeln der Landesregierung erreicht werden kann.
Wir wären Ihnen sehr verbunden, wenn Sie unseren Vorschlag aufgreifen würden, da wir davon überzeugt sind, dass unser Vorschlag ein wichtiger Schritt für eine gute und zukunftsfähige Entwicklung unseres Landes sein kann.
Für ein Gespräch stehen wir gerne zur Verfügung!
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrte Frau Dreyer, sehr geehrte Frau Spiegel, sehr geehrte Frau Schmitt,
herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Wahlergebnis bei der Landtagswahl. Wir wünschen Ihnen für die Koalitionsverhandlungen und die anschließende Regierungszeit viel Erfolg auch im Sinne einer zukunftsfähigen Landwirtschaft. Dazu möchten wir Ihnen einige wichtige Forderungen mit auf den Weg geben:
Die Agrarministerkonferenz letzte Woche hat zu einigen Einigungen geführt, die kleine und mittlere Betriebe weiter benachteiligen und damit für die Biodiversität und den Artenschutz negative Ergebnisse erzielen werden. Daher ist es umso wichtiger, dass im Zuge der Ausgestaltung der Ökoregelungen und im weiteren Bemühen des Landes die kleinen und mittleren Betriebe unterstützt werden.
Folgende Forderungen sollten Sie dringend in die Koalitionsverhandlungen einbringen:
Zu einer zukunftsfähigen GAP gehört zudem eine starke Marktordnung, die den Betrieben eine bedarfsgerechte Erzeugung und kostendeckende Erzeugerpreise ermöglichen.
Die Erfahrungen aus der letzten Legislaturperiode haben gezeigt, dass Landwirtschaftspolitik und Umweltpolitik dringend unter ein Dach gehören. Die gemeinsame Lösung von Problemen in Umwelt und Landwirtschaft braucht eine gemeinsame Führung beider Bereiche. Eine Zersplitterung von landwirtschaftlichen Anbaurichtungen und eine Trennung von Umwelt und Landwirtschaft in zwei Ministerien verhindert gemeinsame Lösungen. Vereinbaren Sie bitte in Ihrem Koalitionsvertrag die Unterbringung von Umwelt- und Landwirtschaftsressort unter einem Dach.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Wey
Vorsitzender Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Eifel e.V.
Landesverband Rheinland-Pfalz und Saarland
Die Verbände identifizieren die Rückkehr von Wölfen als Zielkonflikt: Zum einen haben Wölfe als heimische Tiere in unseren Ökosystemen ihren Platz und werden grundsätzlich akzeptiert. Die Ansiedlung von Raubtieren, insbesondere der Wölfe, bedeutet eine Verschlechterung der Situation der Weidetierhaltung. Die erforderlichen Herdenschutzmaßnahmen gehen über den Zaunbau zur Gewährleistung der Hütesicherheit weit hinaus und erfordern ein Vielfaches an Arbeit, Kosten und bürokratischem Aufwand. Hinzu kommt eine enorme psychische Belastung der Weidetierhalter.
Die aktuelle ökomische Situation der Weidewirtschaft in Deutschland ist angespannt. Eine wachsende Zahl landwirtschaftlicher Betriebe sieht sich zur Aufgabe der Weidewirtschaft oder zur Betriebsumstellung gezwungen. Dieser Entwicklung muss aus gesellschaftspolitischen Gründen wirksam entgegengewirkt werden. Es müssen agrarpolitische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die den Weidetierhaltern eine betriebliche Zukunftsperspektive eröffnen. Das schließt die angemessene Honorierung der erbrachten Gemeinwohlleistungen ein. Die aus Gründen des Klimaschutzes und der Gesundheitsförderung notwendige Reduzierung des Fleischverzehrs und des Konsums von Lebensmitteln tierischen Ursprungs muss auf der Seite der industriellen Produktion stattfinden.
Die Verbände fordern daher eine Förderung der Weidetierhaltung, die den erbrachten Leistungen entspricht. Bei der Erzeugung hochwertiger und nachhaltiger Lebensmittel bestehende Wettbewerbsnachteile müssen ausgeglichen werden. Weidetierhaltende Betriebe müssen ihre Einkommen auch über die angemessene Honorierung von Gemeinwohlleistungen sichern und stabilisieren können. Sie stellt keine Möglichkeit der Finanzierung von Herdenschutz dar.
Das wohl bedeutendste Konfliktfeld, was sich aus der selbstständigen Rückkehr der Wölfe in unsere Kulturlandschaften ergibt, betrifft die Weidetierhaltung. Ein flächendeckender, vorbeugender Herdenschutz bildet die Grundlage für die Minderung/Verhinderung wolfsverursachter Schäden an Weidetieren. Die Ausweisung von Wolfs(präventions)gebieten ist nicht sinnvoll, da Wölfe außer in den Ballungsgebieten überall angemessenen Lebensraum finden können. Die Förderung von Herdenschutz muss deshalb flächendeckend und frühzeitig - bevor sich Wölfe ansiedeln - angeboten werden.
Zusätzlicher Aufwand für vorbeugenden Herdenschutz sowie Verluste durch Wolfsübergriffe beeinträchtigen die Wirtschaftlichkeit der Weidetierhaltung erheblich und verschärfen den bestehenden Wettbewerbsnachteil gegenüber der ganzjährigen Stallhaltung. Die personelle und finanzielle Situation der Weidetierhaltung stellt sich so dar, dass sämtliche zusätzliche Schutzmaßnahmen, die über die Hütesicherheit hinausgehen, durch die öffentliche Hand finanziert werden müssen, damit sie akzeptiert werden und Wirksamkeit entfalten.
Der Herdenschutz muss auf der Basis einer guten fachlichen Praxis erfolgen. Für die Weidehaltung von Schafen und Ziegen bedeutet dies in der Regel die aktive Behirtung oder den Einsatz von Elektrozäunen mit einer bauartbedingten Mindesthöhe von 90 cm, einer Mindestspannung von 2.500 Volt und einem geeigneten Untergrabschutz (z.B. stromführende Litze bei ca. 20 cm über dem Boden). Erfahrungen zeigen, dass der korrekte Aufbau, regelmäßige Kontrollen und der flächendeckende Einsatz in Wolfsgebieten entscheidend für die wolfsabweisende Wirkung sind.
Die Kosten für die Anschaffung und den Unterhalt dieses Grundschutzes ist Weidetierhaltern mit Mitteln aus der öffentlichen Hand zu erstatten. Tierhaltern, die sich entscheiden, über diesen Grundschutz hinausgehende Maßnahmen zu ergreifen, wie z.B. höhere Zäune oder zusätzliche Herdenschutzhunde, sollen die Kosten dafür ebenfalls erstattet bekommen.
Sollte ein Wolf ordnungsgemäß eingesetzte Herdenschutzmaßnahmen überwinden und dabei Weidetiere töten oder verletzen, ist dem betreffenden Landwirt in angemessenem Umfang eine Kompensation zu zahlen.
Werden ordnungsgemäß eingesetzte Herdenschutzmaßnahmen (Grundschutz) wiederholt durch einen Wolf/Wölfe überwunden, ist/sind diese/r konsequent und schnell zu entnehmen, um die Aufrechterhaltung der Weidetierhaltung unter zumutbaren Bedingungen zu gewährleisten und die Gefahr von ernsten wirtschaftlichen Schäden abzuwenden. Für die Entnahme ist einzig die Überwindung des Grundschutzes entscheidend.
Zumutbarer flächendeckender Herdenschutz ist eine zentrale Voraussetzung für die Koexistenz von Wölfen und Weidetierhaltung in der Kulturlandschaft. Gleichzeitig ist Weidetierhaltung für Natur- und Landschaftspflege unverzichtbar. Daraus leiten sich für Weidetierhalter*innen und Staat unabdingbare Verpflichtungen ab:
Solange die Voraussetzungen zur Koexistenz von Wölfen und Weidetieren nicht geschaffen worden sind (flächendeckender Herdenschutz und dessen verlässliche Finanzierung), ist eine Entnahme von Wölfen die Weidetiere töten oder verletzen, die Konsequenz.
Um solchen Abschüssen im Sinne des Artenschutzes vorzubeugen, muss es das Ziel allen politischen Handelns sein, oben definierte Koexistenzgrundlagen von Wölfen und Weidetieren herzustellen. Es ist festzuhalten, dass sich weder Naturschutz- noch Landwirtschaftsverbände mit der mangelnden Förderung zufrieden geben werden.
Die Entnahme muss in so einem Fall konsequent und schnell durchgeführt werden.
Pauschale Abschussquoten oder eine Bejagung im Sinne des BJagdG wird als nicht zielführende Maßnahme des Herdenschutzes angesehen.
Zur Wahrung des Vertrauens aller Seiten in die Ergebnisse der Rissbegutachtung als auch des vorhandenen Herdenschutzes ist die qualitativ hochwertige theoretische und praktische Ausbildung der beauftragten Gutachter sicher zu stellen.
Die Beratung von Weidetierhaltern ist zentrales Element des Herdenschutzes. Sie muss ausgebaut und als öffentliche Leistung angeboten werden. Wölfe unterscheiden nicht zwischen kleinen oder großen Herden, daher muss diese Beratung als ein Bestandteil der Präventionsmaßnahmen für alle Weidetierhalter verfügbar sein.
Februar 2021
Onno Poppinga, 77, ist auf einem Bauernhof in Ostfriesland aufgewachsen. Bis 2009 war er Professor für Regionale Agrarpolitik an der Universität Kassel-Witzenhausen und hat mitgeholfen, eine alte Rinderrassse auf dem Versuchgut der Universität wieder zu etablieren. 1975 erschien sein Buch Bauern und Politik, in dem er auch die Landvolkbewegung analysiert. Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und der IG BAU sowie Nebenerwerbslandwirt mit zehn Hektar Grünland. Poppinga setzt sich für faire Milchpreise ein.
der Freitag: Herr Poppinga, seit Wochen demonstrieren Landwirte in Berlin gegen die wirtschaftliche Not auf ihren Höfen. Einige haben schwarze Fahnen mit weißem Pflug und rotem Schwert dabei, das Symbol der gewalttätigen und nationalistischen Landvolk-Bewegung der 20er Jahre. Politiker und Verbände haben sich entsetzt distanziert. Sind die Landwirte nach rechts gerückt?
Onno Poppinga: Ich halte ich es für voreilig, alle Landwirte, die mit dieser Fahne in Berlin protestieren, als rechts einzustufen. Für Bauern in Ost- und Nordfriesland stand die Landvolkfahne auch für Widerstand und Proteste gegen die Zwangsversteigerung von Höfen vor knapp 100 Jahren. Wenn diese historische Fahne heute wieder hervorgeholt wird, wollen sie damit wohl sagen: Jetzt reicht es uns. Wenn alle unsere Demonstrationen noch nichts bewirkt haben, dann „packen wir noch eine Schippe drauf“! Trotzdem finde ich es falsch, dass die Landwirte die Landvolk-Fahne wieder hervorgeholt haben: Sie kann nur missverstanden werden.
Was macht die Landwirte in Berlin denn so wütend?
Sie protestieren, weil die politischen Parteien und die Agrarwirtschaft keine Lösungen für ihre Probleme bieten und weil die wirtschaftliche Lage bei vielen Betrieben äußerst angespannt ist. Die konventionellen Landwirte, die heute demonstrieren, haben all das vorbildlich gemacht, was die Politik, die Wissenschaft, das Beratungssystem, die Medien in der Vergangenheit von ihnen verlangt haben. Sie haben ihre Höfe vergrößert, die Leistungen gesteigert, die Tierzahlen erhöht und dabei auch hingenommen, dass es bei so machen Betrieben zu einer Überdüngung der Felder und zu einer Verschlechterung der Lebensbedingungen der Tiere gekommen ist. Vorangetrieben wurde das alles auch durch staatliche Maßnahmen wie die Flurbereinigung und die finanzielle Förderung von Investitionen. Über Jahrzehnte hatten diese Landwirte den Eindruck, dass unsere Gesellschaft genau das will: eine hochproduktive Landwirtschaft, die günstige Lebensmittel erzeugt, mit denen man auf dem Weltmarkt reüssieren kann. Wer als Landwirt das in der Vergangenheit nicht mitmachen wollte, mußte als Einzelkämpfer seinen Weg gehen, und das war schwer genug.
Jetzt realisieren die Landwirte, dass keiner mehr all das will, worauf sie so stolz waren. Die Politik beschreibt inzwischen zwar manche der Probleme, die durch die intensive exportorientierte Landwirtschaft entstanden sind, statt aber real etwas zu ändern, richtet sie lieber nur neue Kommissionen ein. Vor allem drückt sie sich vor den notwendigen Auseinandersetzungen mit der Agrarwirtschaft. Die Politiker, aber auch die Agrarwirtschaft sollten diese Proteste als eine Art Hilferuf sehen, dass die Landwirtschaft neue Rahmenbedingungen benötigt und neue Ziele für ihre Arbeit.
Wie ist es denn zu dieser wirtschaftlichen Notlage bei vielen Betrieben gekommen? Viele Studien, auch die, an denen Sie mitgewirkt haben, zeigen ja, dass die Erzeugerpreise etwa bei Milchviehbetrieben weit von einer Kostendeckung entfernt sind.
Die Bauern erleben seit langem, dass es für sie keine funktionierende Marktwirtschaft gibt. Die Milchbauern beispielsweise müssen ihre Milch abliefern, ohne daß sie wissen, was sie dafür erlösen. Sie können nur hoffen, dass das Milchgeld nach drei oder vier Wochen einigermaßen stimmt, aber sie haben keinerlei Einfluss auf die Preise. Eine Mitarbeiterin des Bundeskartellamtes, die vor gut zehn Jahren diese Verhältnisse untersucht hat, sagte denn auch, solche Stukturen hätte sie noch in keiner anderen Branche je beobachtet. Seit Jahren arbeitet ein Großteil der Milchbauern weit unter Mindestlohn. Das haben sie lange durch Überarbeit aufgefangen, die karge landwirtschaftliche Rente der Eltern, das Einkommen der Ehefrau, alles wurde mobilisiert. Doch vergangenes Jahr ist das Fass zum Überlaufen gekommen. Seit eineinviertel Jahren gehen die Landwirtinnen und Landwirte auf die Straße und demonstrieren – doch alles, was sie bisher gemacht haben, hat die Politiker und die Agrarwirtschaft offensichtlich noch nicht sonderlich beeindruckt. Deshalb entwickeln sie neue Protestformen – mit der Blockade von Zentrallagern des Lebensmitteleinzelhandels scheinen sie nun einen neuralgischen Punkt getroffen zu haben – und ja, sie erschrecken die Politiker mit der schwarzen Fahne.
Damit berufen sie sich auf die norddeutsche Landvolkbewegung, die sich Ende der zwanziger Jahre radikalisiert hat und deren Anführer Bomben in Finanzämter gelegt haben. Warum?
In den zwanziger Jahren gab es eine extreme Notsituation in der Landwirtschaft. Viele Höfe hatten, kaisertreu wie sie waren, Kriegsanleihen gezeichnet, die nun verloren waren. Das restliche Barvermögen war durch die Währungsreform dahin. Viele Landwirte und Landarbeiter waren im Ersten Weltkrieg umgekommen, sie fehlten auf den Höfen. Umfangreiche Importe von Lebensmitteln und Futtermitteln, die es auch schon vor dem Ersten Weltkrieg gegeben hatte, drückten nun auf die Preise, weil die Wirtschaft nicht lief, weil die Arbeitslosigkeit hoch und die Kaufkraft gering war. Und die preußischen Behörden waren beim Eintreiben der Steuerlast ähnlich unerbittlich wie der Finanzminister Schäuble nach der letzten Bankenkrise gegenüber den armen Griechen. Es gab eine Pleitewelle vor allem bei den einst wohlhabenden Großbauern der nordfriesischen Westküste und bei Höfen, die viel investiert haben. Die Behörden ordneten Zwangsversteigerungen an, erst von Vieh und dann von ganzen Höfen.
Und dagegen haben sich die Bauern damals gewehrt?
Bekannt ist ein Beispiel aus dem Dorf Beidenfleth. Als Gerichtsvollzieher zwei Ochsen eines verschuldeten Hofes pfänden und wegführen wollten, zündeten Landwirte eine Sperre aus Strohballen an. Die Tiere erschreckten, rissen sich los und liefen zum Hof zurück. Sehr oft haben die Bauern durch Absprachen, auch mit Drohungen dafür gesorgt, dass niemand bei Zwangsversteigerungen die Hand gehoben hat. Daneben hatte auch der Aufruf zum Steuerstreik große Bedeutung und der zur Verweigerung, weiterere Abgaben zu zahlen, an die Landwirtschaftskammern etwa. Hans Fallada hat die Landvolkbewegung übrigens sehr genau in seinem Roman Bauern, Bonzen und Bomben beschrieben.
Tatsache ist aber auch, dass in den Reden und Erklärungen von führenden Bauern der Landvolkbewegung nationaler Pathos und antisemitische Hetze einenen festen Platz hatten. Das war aber leider etwas, was damals in den meisten Parteien und staatlichen Institutionen weit verbreitet war. Von SPD, KPD und Gewerkschaften abgesehen durchzogen Nationalismus und Antisemitismus den Alltag im damaligen Deutschland. Pfarrer der evangelischen Kirche traten auf als Agitatoren für die NSDAP auf, die größte Interessenvereinigung des Adels – die deutsche Adelsgenossenschaft – führte den „Arierparagraphen“ ein und vertrieb so ihre wenigen jüdischen Mitglieder; an allen deutschen Universitäten verhinderten Nazistudenten die Vorlesung der wenigen links eingestellten Professoren.
Fotos aus den 60ern zeigen Vertreter des niedersächsischen Landvolkverbandes mit der schwarzen Fahne auf Demonstrationen. Wurden die Fahnen damals nicht als rechtes Symbol gesehen?
Bekanntlich gab es in Deutschland keine „Stunde Null“, keinen unbelasteten Neuanfang; in fast allen Parteien, staatlichen Institutionen und Wirtschaftsverbänden konnten Ex-Nazis ihre Tätigkeit fortsetzen. Das war in der Landwirtschaft sogar besonders ausgeprägt, weil der von den Nazis eingerichtete „Reichsnährstand“ erst bei Gründung der Bundesrepublik aufgelöste wurde. Ich habe zum Beispiel in den 60er Jahren an einer Hochschule studiert, bei der die Professur für internationale Landwirtschaft besetzt war mit dem „Sonderbeaufragten Adolf Hitlers für die Entkollektivierung der Ukraine“.
Nun weiß ich natürlich nicht, wer damals die schwarze Fahne getragen hat. Es kann aus Erinnerung an die Proteste gegen die wirtschaftliche Not gewesen sein, es kann aber auch aus rechtsradikaler Gesinnung heraus geschehen sein. Gerade in Niedersachsen gab es keine „Stunde Null“.
In Ihrem Buch Bauern und Politik haben Sie geschrieben, die „Landvolkbewegung entsprang der wirtschaftlichen Krisensituation und holte die Bauern aus der passiven Anhangsituation bei den berufsständischen Verbänden heraus, sie entwickelt sich immer stärker von einer vorwiegend wirtschaftspolitischen Begwegung zu einer Beweguneg gegen den Staat von Weimer und wurde dann von der NSDAP wegorganisiert.“ War die Ausgangssituation der Landwirte damals vergleichbar mit heute?
Die Anführer damals kamen von den großbäuerlichen Höfen an der Westküste Schleswig-Holsteins. Auch bei den heutigen Protestbewegungen geben häufig die Besitzer von großen Betrieben den Ton an. Doch die Ausgangsbedingungen sind heute schon sehr anders: In den zwanziger Jahren gab es noch eine weitgehend handwerkliche Landwirtschaft. Heute haben die Höfe einen riesigen Kapitalbedarf, weil sie sehr technisiert sind. Wer bei dieser Entwicklung nicht mithält, muss sich seinen eigenenWeg freikämpfen oder er wird Opfer des Strukturwandels. Die Hoffnung der Landwirte war lange: Wer zu den Besten gehört, der wird auch in Zukunft bestehen. Doch der Kreis der Betriebe, bei denen sich diese Hoffnung tatsächlich erfüllt, wird immer kleiner. Es ist deshalb auch nur der erste Schritt, seinen Protest auf die Straße zu tragen. Der nächste muss sein, sich mit den gescheiterten Hoffnungen und den bisherigen Zielen auseinanderzusetzen. So fand ja das Ende der Milchquotenregelung und die Steigerung der Produktion für Exporte in Drittländer unlängst noch breiteste Unterstützung gerade von den Bauern, die glaubten, sie wären mit ihren leistungsfähigen Betrieben dafür gerüstet. Die Bauern greifen deshalb viel zu kurz, wenn sie nur höhere Preise fordern; sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass niemand mehr die hochintensive Form von Landwirtschaft will. Die Bundeslandwirtschaftsministerin mag da noch Rückzugsgefechte liefern, aufhalten kann sie die notwendige Neuausrichtung sicherlich nicht.
Damals wie heute wehrten sich die Landwirte gegen Importe.
Ja, aber die Umstände sind schon sehr anders. Wer sieht denn heute noch einen Sinn in immer neuen Freihandelsabkommen, in den Importen von gentechnisch verändertem Soja und Sojaextraktionsschrot als Futter für Hühner und Schweine in der EU? Einiges Positive hat die EU ja in diesem Sinn schon erreicht, etwa dass kein Hormonfleisch aus den USA importiert wird und dass keine gentechnisch veränderten Pflanzen in der EU angebaut werden dürfen.
Ein ungelöstes Problem besteht aber darin, dass in der EU viele Produktionsbedingungen noch national sehr unterschiedlich geregelt sind. In Deutschland ist es beispielsweise nach jahrzehntelangem Kampf der Tier- und der Umweltschutzbewegung gegen die Geflügelindustrie und ihr nahestehende Wissenschaftler gelungen, die Haltung von Legehennen in Käfigen zu verbieten. Bei einigen anderen EU-Ländern ist das aber nicht so. Folge: die meisten Fertigprodukte, die die Lebensmitelindustrie in Deutschland erzeugt, enthalten Eier aus Käfighaltung. Wer dieses Problem benennt, handelt nicht nationalisitisch, sondern im Sinne der Hühner und für den Verbraucherschutz.
In der nächsten Woche will die Bundesregierung das Insektenschutzprogramm verabschieden – und mehr Insektenschutz ist dringend notwendig, um das Insektensterben mindestens zu verlangsamen. Doch für die Landwirte bedeutet das, dass ihre Produktion teurer wird – im Vergleich zu den Produkten aus anderen Ländern.
Ich sehe das Problem darin, dass hier vor allem mit Ge- und Verboten gearbeitet wird, ohne dass gleichzeitig dafür gesorgt wird, dass die Landwirtschaft, die positive Wirkung auf die Umwelt, auf Wasser, Insekten und Qualität der Lebensmittel hat oder haben könnte, das auch umsetzen kann. Solange die wirtschaftliche Lage bei einem großen Teil der landwirtschaftlichen Betriebe desolat ist und darauf nicht glaubwürdig eingegangen wird, werden an sich sinnvolle Anforderungen nur als weitere Verschärfung und Bedrohung wahrgenommen, so ist zumindest meine Befürchtung.
Was raten Sie den protestierenden Bauern?
Sie müssen nicht nur Forderungen an andere stellen, sondern sich auch fragen, warum sie bei dieser Art von Landwirtschaft mitgemacht haben, die sie jetzt selbst in den Ruin zu treiben droht. Es ist ein Scherz, aber man könnte sagen, die Bauern haben durch die Agrarpolitik, durch die sehr qualifizierte Ausbildung, die sie durchlaufen haben, eine „Änderung in ihren Genen“ erfahren. Das Streben nach höchster Produktionsleistung ist den Bauern extrem stark eingetrichtert worden, es galt als Voraussetzung dafür, wirtschaftlich erfolgreich zu sein. Also, du musst die 10.000-Liter-Kuh im Stall haben, wenn du überhaupt den Mund aufmachen willst. Oder Sauen, die mindestens dreißig Ferkel im Jahr zur Welt bringen, oder mindestens 90 Doppelzentner Weizen vom Hektar Ertrag vorweisen.
Unsere Untersuchungen von Milchviehbetrieben haben aber gezeigt, dass Höfe, die sich dem extremen Leistungsgedanken verweigern, die aus eigener Kraft ein eigenes System der Milcherzeugung entwickelt haben, oft wirtschaftlich deutlich besser dastehen, weil sie zwar weniger produzieren, aber auch viel weniger Kosten haben. Einer von denen hat mir einmal gesagt: „Ich weiß wohl, ich bin der Bauer rückwärts!“ So wirkt die immer noch vorhandene Denunzierung von Bauern, die es sich der hochintensiven Produktion verweigern.
Genau diese Leistungsorientierung, die zu Tierschutzproblemen, Überproduktion und Preisverfall beigetragen hat, müssen die Landwirte reflektieren. Das stellt ihr bisheriges berufliches Weltbild in Frage, aber darum kommen sie nicht herum.
Was ist die Rolle der Gesellschaft dabei? Was müssen wir als Bürgerinnen und Konsumentinnen tun?
Für unsere Gesellschaft werden die notwendigen Änderungen nicht weniger schmerzhaft sein als für die Bauern selber. Vielleicht hilft ein Vergleich mit dem Ende der Atomkraftindustrie hier weiter: Die Gesellschaft hat toleriert, dass mit ihrem Steuergeld Atomkraftwerke gebaut wurden; die Atomwissenschaft erging sich in Propaganda für die Sicherheit der Atomindustrie; die Proteste der Anti-AKW-Bewegung wurden mit Zäunen und Polizeiknüppeln niedergehalten – bis es zu Tschernobyl und Fukoshima kam. Der Umstieg auf eine neue Energieerzeugung erforderte Eingriffe in die Wirtschaft, die bis dahin undenkbar schienen: garantierte Erzeugerpreise, Mengenbegrenzung, unterschiedliche Preise in Abhängigkeit von den Kosten der Entstehung, regionale Erzeugung von Energie. Einiges aus dieser Werkzeugkiste könnte auch geeignet sein für die erforderliche Agrarwende.
[Tanja Busse ist Autorin und Moderatorin. 2019 erschien ihr Buch Das Sterben der anderen. Wie wir die biologische Vielfalt noch retten können.]
Quelle: der Freitag - Die Wochenzeitung
Baumreihen in der sonst kahlen Ackerlandschaft sehen nicht nur gut aus, sie bremsen die Winderosion, durch den Schatten, den sie spenden, bleibt die Feuchtigkeit länger im Boden, sie bieten vielen Tieren Unterschlupf und erschließen den Bäuerinnen und Bauern neue Ertragsquellen.
Darüber hinaus haben die Bäume und Sträucher zwischen den Äckern zahlreiche weitere nützliche Effekte auf Klima und Artenvielfalt. Dennoch sind solche Agroforste in Deutschland kaum verbreitet - es fehlt der politische Rahmen. Die EU sieht im Anbau von Bäumen und Sträuchern auf dem Acker eine Chance für Bauern, Natur und Klima. In den neuen Bundesländern sind schon Betriebe in diese neue Anbaumethode eingestiegen und die Politik versucht dort Agroforst einen Förderrahmen zu geben.
In Rheinland-Pfalz tut sich noch nichts. „Wir vertrauen auf den Innovationsdrang von Minister Wissing, er wird sich nicht von den neuen Bundesländern abhängen lassen wollen" so Jutta Kröll, Vorsitzende der Arbeisgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL). „Gerade in Zeiten von Dürre und Wasserknappheit können wir uns dieser Anbaumethode nicht verschließen. Wir Bäuerinnen und Bauern sind bereit für Agroforst", so Kröll weiter. In der AbL haben sich sowohl konventionell als auch ökologisch wirtschaftende bäuerliche Betriebe zusammengeschlossen.
Infos zu Agroforst: https://agroforst-info.de
Du hast gestern in Deiner politischen Rede von der tiefen inhaltlichen Arbeit im Grundsatzprogrammprozess gesprochen. Leider hast Du, zusammen mit Deinen fünf Bundesvorstandskolleg*innen den zweieinhalb Jahre dauernden demokratischen Grundsatzprogrammprozess ganz zum Schluss ausgehebelt, indem Ihr die Direkte Demokratie aus dem Grundsatzprogramm gestrichen habt.
Ihr habt uns Mitgliedern diese fundamentale Änderung nicht mitgeteilt. Eine Debatte dazu in den Kreisverbänden war nicht mehr möglich. Viele Delegierte haben davon erst aus der Presse erfahren, weil diese über eine Petition auf change.org berichtet hat, die sich gegen Euer Vorgehen richtete. Innerhalb weniger Tage haben über 50000 Menschen diese Petition gezeichnet. Auch haben sich vierzehn NGOs, hinter denen mehrere Millionen Menschen stehen an Euch gewandt und um die weitere Verankerung der Direkten Demokratie in unserem Grundsatzprogramm geworben.
Bis heute hast Du mit Deinen fünf Bundesvorstandskolleg*innen die Streichung der Direkten Demokratie aus unserem Grundsatzprogramm nicht begründet. In Deiner gestrigen politischen Rede sagst Du aber selbst "Veränderungen sind stark begründungspflichtig". Das passt nicht zusammen.
Warum also habt Ihr das getan? Traut sich der Bundesvorstand von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Demokratie nicht mehr zu?
Die Aufnahme eines rein beratenden Instrumentes, dem Bürger*innenrat unter dem Label „Demokratie" ist irreführend. Ihr wollt doch auch Euren zukünftigen Koalitionspartner nicht nur beraten, sondern auf Augenhöhe mit ihm entscheiden. Wie willst Du, liebe Annalena, das 1,5°-Ziel „in eine parlamentarische Mehrheit übersetzen" (Zitat aus Deiner Rede) ohne Druck durch Direkte Demokratie? Wie eine Koalition unsere Ziele ausbremst sehen wir zur Zeit im Danni. Wieviel Grün wird es im Bund mit einem zukünftigen Koalitionspartner Armin Laschet ohne Druck durch Direkte Demokratie noch geben? Laschet, der mit martialischem Polizeiaufgebot die Braunkohle durchboxt und Klimaaktivist*innen extra lange einsperren lässt! Was der Druck durch ein mögliches Volksveto bewirken kann, siehst Du in der Schweiz. Dort wurde ein traumhaftes Klimaschutzgesetz beschlossen.
Auf kommunaler Ebene wird auch bei uns davon schon lange Gebrauch gemacht. Stadtratsbeschlüsse werden durch Bürgerbegehren kassiert. Verwässerte Gesetze, wie sie Altmaier z.B. mit dem Lieferkettengesetz gerade macht, kämen nicht mehr durch. Volksentscheide kennen weder Koalitionsvereinbarungen noch Fraktionszwänge. Demokratie in Reinstform, populismussicher. Unsere Bundesarbeitsgemeinschaft „Demokratie" hat einen ebenfalls populismussicheren Kompromissvorschlag erarbeitet. Er bietet Euch Bundesvorständler*innen heute beim Parteitag die Chance, die von Euch falsch gestellte Schraube zu korrigieren, damit unser Werk gelingen kann.
Übrigens liebe Annalena, in Deinem Bundesland ist die geballte Kompetenz in Sachen Direkte Demokratie vorhanden. Nutze sie. Wir sind es den Aktivist*innen, die für unsere Ziele auf Bäume klettern und Schienen besetzen schuldig, ihnen dieses demokratische Instrument zu erstreiten. Ohne die Unterstützung durch Direkte Demokratie sind Parlamente heute nicht mehr in der Lage sich gegen die globalen Machtkomplexe zu behaupten.
Was ist das für eine verheerende Botschaft an die Welt, wenn Wir GRÜNE die elementaren Grundsätze unserer Identität aus unserem Grundsatzprogramm streichen anstatt für sie in Koalitionsverhandlungen mit aller Kraft zu streiten? Ich erwarte von Dir, liebe Annalena, und Deinen Bundesvorstandskolleg*innen Ricarda, Jamila, Michael, Marc und Robert, dass Ihr mit absolut klarer Kante unsere Grundsätze in Koalitionsverhandlungen einbringt und dafür kämpft. Nur so können wir langfristig unsere Identität sichern.
Übrigens gibt es in der Bevölkerung eine große Mehrheit für bundesweite Volksentscheide, selbst bei den Mitgliedern der CDU.
Liebe Grüße,
Francois Botens, KV Mainz-Bingen
Mainzer Straße 254
55218 Ingelheim
Hintergrund: Vor wenigen Wochen war bekannt geworden, dass der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen die bundesweiten Volksabstimmungen aus ihrem Grundsatzprogramm gestrichen haben.